Es sind immer die Schuhe, wo die Leute zuerst hinschauen. Als definierten die, wie man mich einzuordnen hat. Weil die Schuhe bestimmen, ob „so eine“ diese oder jene Klamotte tragen darf. Ob eine so aus der Rolle, die Nichtbehinderten einer behinderten Frau zugestehen fallen darf. Und eigentlich darf man keine normale Kleidung tragen ohne angestarrt zu werden. Man hat dieses Bild von unmodern und fremdbestimmt, Kleiderkammer und unförmig zu erfüllen. Wenn man das nicht tut, müssen die Haare oder die Schuhe herhalten.

Die nutzt einen Gehstock und trägt solche Schuhe? Wie kann sie denn nur? Das darf die doch nicht.

(Selbst meine Mutter, diese Frau, die nicht meine Mutter sein möchte, denkt so.)

Ach nein, sieh da, sie trägt Workerboots, so was ähnliches wie Doc Martens. Stabil und fest. Aber dazu, zu dieser Kleidung? Unmöglich. Na ja, diese Behinderten...

All so was kann ich fast jedes Mal in den Köpfen sehen. Und ich weiß nie, ob es mich nervt oder langweilt. Nach so vielen Jahren sollte es das. Vielleicht. Auch wenn allein schon die Art zu gucken eine Mikroaggression ist.

Wenn behinderte Menschen, dann doch bitte die braven aus den Heimen oder die „Superstars“ wie Herr Krauthausen, aber doch nicht eine in normaler Kleidung und Schuhen an unserer Haltestelle.

Man könnte das in ein Theaterstück über Alltäglichkeiten mitaufnehmen.

Seit einer Weile denke ich bei so was immer an Mrs. McLachlan. Mrs. McLachlan ist ein Charakter aus einem Bilderbuch von Harry Woodgate. Und sie ist – genau wie ich – Bibliothekarin und nutzt – genau wie ich – einen Gehstock. Und sie bricht – genau wie ich – mit den Erwartungen der Nichtbehinderten. Wenn auch anders als ich. Denn im Gegensatz zu mir begeht Mrs. McLachlan das Verbrechen gegen die nichtbehinderte Ästhetik Röcke zu tragen. Lange und bunte und – noch schlimmer – einen, der etwa am Knie endet und damit die Leute nötigt dieser gehbehinderten Frau auf die Beine zu sehen. Die sehen nicht anders aus als andere Beine, aber man darf es eben anscheinend nicht. Zu diesen Röcken trägt sie natürlich Schuhe und wäre sie ein Charakter in einem Buch aus Deutschland, dann müsste realistischerweise irgendein anderer Charakter um die Ecke kommen und sie darüber belehren, dass sie keine roten Sneaker zu grünen oder bunten Röcken tragen kann. Dass sie das für ihren Beruf disqualifiziert und anderes mehr, das man vermeintlich am Aussehen festmachen kann. Das Tolle an diesem Charakter ist, es ist ihr völlig egal, sie denkt gar nicht drüber nach. Und eins von mehreren tollen Sachen an dem Buch ist, dass sie das gar nicht muss, weil es gar nicht zur Debatte steht.

Schade, dass die wenigsten Menschen Mrs. McLachlan kennen.






Schade, dass ich sie nicht kenne, umso schöner, Dich hier kennenzulernen! Ein schöner Beitrag, vielen Dank :)


Ich hatte mal einen Beitrag auf Mastodon über sie, aber der kann dir locker durchgerutscht sein.

Auf der Homepage der Autorenperson (nutzt they/them-Pronomen) kann man sie auch sehen. Sie ist sowohl mit auf dem Cover als auch wenn man herunterscrollt auf der Pride-Feier zu sehen. Auf der Pride-Feier sieht man auch die Schuhe besser, und wie sie die Füße positionieren muss, um das Gleichgewicht zu halten, weil ihr Stock gerade am Van lehnt. Beides Mal trägt sie den langen Rock, in einer anderem Szene im Buch trägt sie den kurzen.

www.harrywoodgate.com

Es ist auch ein schönes Buch für ältere Kinder oder Erwachsene, die einfach gerne Illustrationen gucken und ein bisschen Neugierde auf Prides und die Geschichte und Gründe dahinter haben. Wenn es dich wirklich interessiert, ist das bestimmt irgendwo bestellbar, notfalls online zu besorgen.


Danke! Mir rutscht sehr viel durch bei Mastodon, leider. Habe das Buch in der Buchhandlung meines Vertrauens gefunden und gleich bestellt. Das Kind lernt seit zwei Jahren Englisch, das passt alles sehr gut. Danke!


Gerne. Wenn das Kind nicht gerade Bildbuchfan ist oder gerade in der "Bilderbücher sind für Babys"-Phase ist, kann es sein, dass es erstmal mault, darauf musst du dich eventuell einstellen. Denn die Protagonistin ist ungefähr 5-6 Jahre alt. Aber da ist so viel, das da ist und zur Geschichte beiträgt, aber nicht explizit gesagt wird, dass es auch von älteren Kindern angenommen wird, wenn man bereit ist diese Sachen gegebenenfalls nachzulesen und zusammen darüber zu sprechen.

Beispiel: Der Hund (den man auch in dem Ausschnitt auf der Homepage von Harry Woodgate kennen lernt) heißt Gilbert. Das wird nicht erklärt, ist aber eine ganz klare Anspielung auf die Ursprünge des Pride. Mal zusammen "pride" und "Gilbert" in die Suchmaschine eingeben und man erfährt, welcher Mensch so hieß und warum der wichtig ist.

Das Buch ist voll mit sowas. Dann lernt man natürlich etliche Pride Flaggen kennen, es gibt Personen, die keine eindeutigen Pronomen benutzen, die Demos von denen Granddad erzählt sind alle wirklich passiert. Die Unterstützung der walisischen Minenarbeiter, die im Gegenzug in London bei einer Pride mitgelaufen sind gab es, die Demos gegen den §175 in Deutschland gab es, die Demos von ACT UP in den USA gab es. Das alles wird nur mit einem Bild erwähnt (also gar nicht im Text), eröffnet für ein interessiertes älteres Kind aber Diskussionsräume und Erwachsene finden auf dem Bild genug Hinweise nach was sie suchen müssen.