Montag, 7. Oktober 2024

Es sind immer die Schuhe, wo die Leute zuerst hinschauen. Als definierten die, wie man mich einzuordnen hat. Weil die Schuhe bestimmen, ob „so eine“ diese oder jene Klamotte tragen darf. Ob eine so aus der Rolle, die Nichtbehinderten einer behinderten Frau zugestehen fallen darf. Und eigentlich darf man keine normale Kleidung tragen ohne angestarrt zu werden. Man hat dieses Bild von unmodern und fremdbestimmt, Kleiderkammer und unförmig zu erfüllen. Wenn man das nicht tut, müssen die Haare oder die Schuhe herhalten.

Die nutzt einen Gehstock und trägt solche Schuhe? Wie kann sie denn nur? Das darf die doch nicht.

(Selbst meine Mutter, diese Frau, die nicht meine Mutter sein möchte, denkt so.)

Ach nein, sieh da, sie trägt Workerboots, so was ähnliches wie Doc Martens. Stabil und fest. Aber dazu, zu dieser Kleidung? Unmöglich. Na ja, diese Behinderten...

All so was kann ich fast jedes Mal in den Köpfen sehen. Und ich weiß nie, ob es mich nervt oder langweilt. Nach so vielen Jahren sollte es das. Vielleicht. Auch wenn allein schon die Art zu gucken eine Mikroaggression ist.

Wenn behinderte Menschen, dann doch bitte die braven aus den Heimen oder die „Superstars“ wie Herr Krauthausen, aber doch nicht eine in normaler Kleidung und Schuhen an unserer Haltestelle.

Man könnte das in ein Theaterstück über Alltäglichkeiten mitaufnehmen.

Seit einer Weile denke ich bei so was immer an Mrs. McLachlan. Mrs. McLachlan ist ein Charakter aus einem Bilderbuch von Harry Woodgate. Und sie ist – genau wie ich – Bibliothekarin und nutzt – genau wie ich – einen Gehstock. Und sie bricht – genau wie ich – mit den Erwartungen der Nichtbehinderten. Wenn auch anders als ich. Denn im Gegensatz zu mir begeht Mrs. McLachlan das Verbrechen gegen die nichtbehinderte Ästhetik Röcke zu tragen. Lange und bunte und – noch schlimmer – einen, der etwa am Knie endet und damit die Leute nötigt dieser gehbehinderten Frau auf die Beine zu sehen. Die sehen nicht anders aus als andere Beine, aber man darf es eben anscheinend nicht. Zu diesen Röcken trägt sie natürlich Schuhe und wäre sie ein Charakter in einem Buch aus Deutschland, dann müsste realistischerweise irgendein anderer Charakter um die Ecke kommen und sie darüber belehren, dass sie keine roten Sneaker zu grünen oder bunten Röcken tragen kann. Dass sie das für ihren Beruf disqualifiziert und anderes mehr, das man vermeintlich am Aussehen festmachen kann. Das Tolle an diesem Charakter ist, es ist ihr völlig egal, sie denkt gar nicht drüber nach. Und eins von mehreren tollen Sachen an dem Buch ist, dass sie das gar nicht muss, weil es gar nicht zur Debatte steht.

Schade, dass die wenigsten Menschen Mrs. McLachlan kennen.





Freitag, 4. Oktober 2024

Fährt man in die andere Richtung, gibt es volle Bahnsteige. Eine Messe bringt Menschen aus ganz Deutschland und anderswo in einer Großstadt zusammen. Ich muss dort umsteigen und begegne Menschen mit unterschiedlichen Sprachen und solche, die nicht nur die richtige Bahn, sondern auch den Ausgang suchen. Sie wollen die Menschenmassen meiden und laufen. Kleinere Gruppen, aber auch Menschen mit klobigen Rollkoffern, die vielleicht übers Wochenende bleiben.

Ich erinnere mich, einmal in den Ferien auf dieser Messe gewesen zu sein. Damals gab es nur Brettspiele und weil meine Eltern sich für nichts interessierten, durften auch mein Bruder und ich nicht in Ruhe schauen und wir waren ziemlich schnell wieder weg. Nach den Ferien sagte mir eine Lehrkraft, sie hätte sich schon gedacht, dass meine Familie auf diese Messe geht. Das war überhaupt nicht abzusehen gewesen. Es zeigt aber wie Lehrkräfte meine Eltern wahrgenommen haben oder wie die sich zu inszenieren wussten: Als würden sie wer weiß was bieten.

Eine Apotheke im Stadtteil dort impft gegen Grippe und jemand berichtet, es klappe sogar problemlos bei Touristen. Lediglich nach dem Alter würde man gefragt, denn es gibt unterschiedliche Impfstoffe. So sehr wie man bei Ärzt*innen bitten muss stelle ich mir das Angebot der Apotheke als gute Alternative vor.

Ich strauchele mit einem Text in Einfacher Sprache. Damit ich das mit der Einfachen Sprache – die nicht das gleiche ist wie Leichte Sprache -, so gut wie möglich mache, habe ich Testlesende, die auf diese Art zu Erzählen für ihr Text- und Leseverständnis angewiesen sind. Und eigentlich haben wir für diese Projekte immer so etwas wie einen Plot, damit ich diesen Menschen erzählen kann, was ich erzählen will, so dass sie beurteilen können, ob ich es verständlich erzähle. Eine dieser Person möchte schon die ganze Woche, dass wir ein Experiment machen. Sie schlägt vor, nicht am Haupttext zu arbeiten, sondern nur zur Entspannung eine kurze Nebengeschichte zu erzählen. In der müssten die Figuren aber sehr anders handeln, als sie es eigentlich tun, und wenn wir dieses Jahr noch fertig werden möchten, können wir eine derartige Ablenkung nicht gebrauchen.





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