Ich glaube, ich habe alleine in diesem Monat so viel Lautsprache benutzt wie in einigen anderen Jahren in zwölf Monaten insgesamt. Ich spreche sonst nicht viel. Und ich habe bis jetzt in diesem Monat vier Ausstellungen gesehen, die Eindrücke von einer aus dem letzten Monat wirken noch nach, und ich habe ein kostenloses Ticket für eine Anfang April. Das ist bis jetzt die einzige fest geplante von einem „großen“ bereits verstorbenen Künstler in einem großen Museum. Wann ich Marc Chagall in Düsseldorf schaffe, weiß ich nicht.
Das Tolle an der momentanen Situation ist, dass bisher jede Person, bei deren Ausstellung ich war die Namen von einer oder zwei weiteren Kunstschaffenden, die ich bisher nicht kannte für mich hat. Ich recherchiere das alles und lerne so viel kennen.
Und so zufällig. Die Fotografin, die zufällig im selben Treffen einer NGO wie ich sitzt und eine Ausstellung im derzeit laufenden Kunstprogramm einer Stadt in der Nähe hat. Da gehe ich doch hin.
Der Mensch, von dessen Existenz ich nicht wusste, der aber ein ganzes öffentliches Museum führt und einen Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia hat. Muss man als deutscher Künstler, wenn man nicht gerade aus der obersten Liga kommt, erst mal schaffen.
Im Februar sehe ich „MILITANT JOY“ von Gritli Faulhaber an dem Ort in der Geburtsstadt meiner Mutter, an dem früher ein Café für Drogen gebrauchende Menschen war. Jetzt ist da der Neue Kunstverein. Ein großer Raum mit einer riesigen Fensterfront. Ich freue mich sehr und fühle mich von Faulhaber gesehen und verstanden, denn auch sie ist chronisch kranke, Tagesform abhängig zu unterschiedlichen Graden in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkte Künstlerin. Der ausgestellte Werkzyklus ist ohne dieses Wissen nicht zu verstehen.
Anfang März besuche ich einen mir bekannten Künstler in einer anderen Stadt auf seiner Vernissage und zücke zum ersten Mal wieder mein Skizzenbuch. Das Schreiben in Museen ist mittlerweile vielfach verboten, in diesem Atelier kann ich notieren so viel ich will und so lange ich stehen kann. Mir wird zwar das Sofa angeboten, aber da ich nach einem Versuch nicht schmerzfrei davon hochkomme, verzichte ich. Es ist die erste Vernissage, die ich seit Jahren besuche.
Später, an einem anderen Tag, besuche ich die Solo-Ausstellung dieses Bekannten anderswo. Dabei treffe ich auf den Museumsmacher mit dem Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia. Ich wusste nur, dass dieser Mensch mit dem angrenzenden Kulturzentrum zu tun hat. Weil ich da etwas in Erfahrung bringen will, frage ich, an wen ich mich wenden muss. Und dann, zurück in der Geburtsstadt meiner Mutter, eine kleine Galerie beinahe schon in dem Stadtteil, in dem sie mal gewohnt hat. Die Straße ist dieselbe, sie ist lang und führt durch mindestens zwei Stadtteile.Installationen und Illustrationen und ein bisschen um die Ecke denken und ich denke „So will ich das“ und ertappe mich im Gespräch mit der Künstlerin zum ersten Mal wieder selbstbewusst eine Berufsbezeichnung zu geben. Wir sprechen über eine Stunde und stellen fest, dass unsere Hörsinne ähnlich funktionieren und wir außerdem ähnliche Ansichten zur aktuellen politischen Lage teilen.
Der Dezember ist kein Monat für mich. In meiner Familie ist er aus unterschiedlichen Gründen der Härteste und als ich meine alten Blogs noch hatte, habe ich mich viel dazu geäußert. Das wusste auch die Person, die diese Blogs zerstört hatte und deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie sich für ihre finale Aktion damals nicht nur ebenfalls den Dezember sondern auch noch ein Datum, um dass es mir immer schlecht ging gesucht hat. Das wird ihr Spaß gebracht haben, waren ja nur Menschen, denen sie geschadet hat und Menschen sind (anscheinend für sie) weniger Wert als Klicks. Ich habe lange gebraucht bis ich das - mit therapeutischer Begleitung so verstanden hatte, die ganze Boshaftigkeit, die ganze Bösartigkeit – und seitdem bestimmt auch das meine Dezember.
Es ist also ein guter Monat, um nicht existent zu sein. Ich suche mir neben all den externen Terminen allerlei zu tun, setze Deadlines und Wordcounts, weil ich bis zu einem bestimmten Ereignis Ende des Monats durchhalten muss ohne völlig erschöpft oder handlungsunfähig zu sein und dieses eine Ereignis mir eigentlich sagt, dass ich nicht wieder aufhören darf zu schreiben. So schwer es mir fällt, ich darf es nicht, auch wenn ich es seit den zerstörten Blogs noch weniger will als ich es vorher wollte. Es ist das einzige, was ich kann.
Ich schiebe auf, zwei Menschen aus dem Kunsthaus, die Interesse an dem Ereignis hatten ihre Mails zu schreiben, weil ich die Infos, die das bräuchte selbst nicht habe. Ich „verspreche“ jemandem einen Blogartikel und mache ihn nicht. Ich finde zufällig das Ende eines angefangenen Textstücks und beginne ein neues in einer Sprache, in der ich lange nicht mehr gearbeitet habe.
Ich wollte zwei Ausstellungen in einem Künstlerverein und eine in einer Galerie sehen und habe es bisher nicht geschafft, die kleine im Rathaus einer angrenzenden Stadt schaffe ich durch Zufall. Zwei Neumitglieder eines Künstler*innenvereins werden mit einzelnen Werk vorgestellt. Sie arbeiten mit Worten, Installationen und Kaffee.
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