Vorgeschichte dazu, warum ich das hier geschrieben habe: Prinzipiell bin ich der Ansicht, dass man bösen Menschen keine Bühne gibt und die Person mit dem Ding im Badezimmer meiner Eltern hat sich entschieden (!) so ziemlich jedes bösartige ableistische Trope zu erfüllen, das es seit Jahrhunderten über Menschen wie sie - die Person, wir sprechen allerdings von einem er/ihn - in Kunst und Literatur gibt. Vielleicht aus Mangel an Rollenbildern.
Warum schreibe ich jetzt genau einmal - und dann nie wieder - doch über die Person?
Am 5. Mai war der Europaische Protesttag für die Gleichstellung behinderter Menschen. Wie einige behinderte Menschen habe auch ich auf einem Social Media-Account etwas erzählt. Ich erzählte auf Mastodon, dass ich seit fast einem Jahrzehnt alle meine Onlinepräsenzen barrierefrei für eine sehbehinderte Leserin gestalte. Sie hatte mir ihre Probleme mit dem ursprünglichen Theme meines früheren Blogs geschildert und sie liest so gut wie alles, das ich irgendwo hinschreibe. Diese Probleme hat sie mir geschildert BEVOR ich jemals die Prothese, die jeden Morgen im Badezimmer meiner Eltern lag erwähnt habe. Auch das erwähnte ich. Ich sagte nicht, wem die Prothese gehörte. Bösen Menschen gibt man keine Bühne. (Der hat sich entschieden böse zu sein. Nichts mit "Der Arme wurde böse, weil er behindert wurde", das ist Teil von den hochproblematischen Tropes.)
Als Reaktion auf diesen Post in einem Sozialen Netzwerk schrieb eine mir fremde Person, dass man doch nun wirklich nicht alles auf die Blinden einstellen müsse.
Ich hatte nicht von Blinden gesprochen.
So eine Reaktion zeugt von Unwissen- und Faulheit (Übergriffigkeit nicht zu vergessen). Denn wäre die besagte Leserin meiner Blogs blind, dann hätte ich zu keinem Zeitpunkt irgendetwas an Schriftarten, -größen oder Farben ändern müssen. Denn dann hätte sie sehr wahrscheinlich einen Screenreader oder eine Braillezeile gehabt und diese Hilfsmittel können graue Schrift und Courier New problemlos erkennen und den erkannten Text weitergeben.
Ich begann darüber nachzudenken, wie das mit dem Ding morgens im Badezimmer damals war, dass diese Prothese dermaßen gut war, dass man sie nicht bemerkt hat. Dass dieser Mensch in unserer Wohnung damit durchgekommen ist teilweise sogar vor Gericht zu behaupten, er sei überhaupt nicht sehbehindert. Bis ihm das Ding einmal rausfiel. Und dann natürlich Trope und Klischee... und wie mir das wieder einfiel habe ich zwischen zwei Deadlines einen Text getippt... Ich lasse das jetzt so stehen.
Also ja, diese Dinge, über die man nicht spricht.
Vielleicht hätten wir das alle tun sollen, und wäre ich nicht gerügt worden, als ich es getan habe – ich habe mir nichts dabei gedacht – und wäre es die Zeit gewesen, um darüber zu sprechen…
Über so was.
So was.
Aber das geht doch nicht.
Dann geht’s ihm doch schlecht.
Das Versorgungsamt hat ihm halt keine 100% gegeben.
(Es heißt und hieß GdB, Prozent gibt es nicht.)
Und es geht doch auch so.
Muss keiner wissen.
(Entgendert wurde damals nicht, wir waren alle mitgemeint.)
Sagst du das noch einmal, dann…
Dann eben nicht.
Dann ist es auch nicht unser Problem.
War es doch, wir waren bloß die Kinder, uns hat niemand gefragt.
Wäre es nach mir gegangen, er wäre sehr offensiv damit umgegangen.
Vielleicht hätte er auch all diese Dinge, die man ihm damals angeboten hat gelernt.
Es ging aber nicht nach mir.
Es ging nach Dann ist es eben nicht passiert.
Wenn wir Besuch hatten, lag das Auge nicht da.
Wenn die Polizei ihn anhielt oder erwischte, war er nur müde.
(Bis zu dem Tag, an dem ihm die Prothese raus fiel.)
Ausreden gab es immer.
Wer nicht behindert sein will, ist es auch nicht.
Und wenn das Versorgungsamt ihm nicht mal einen Ausweis gibt, dann kann er es doch nicht sein.
(Er durfte im Hellen noch Autofahren.)
Das stimmt alles nicht. Alles und überhaupt nicht.
Eben doch.
Seit Jahrhunderten werden behinderte Menschen, insbesondere jene, denen ein Körperteil fehlt in Kunst und Literatur als Böse dargestellt.
Und so einer wurde er.
Es gab ja keine guten Vorbilder.
Hätte er danach gesucht, hätte er ICH BIN AUCH sagen müssen.
Also nein, diese Dinge.
Das geht einfach nicht.
So lag in unserem Badezimmer unter dem Spiegel jahrelang eine Prothese, von der niemand wusste, dass sie existiert.