„Die Duldung oder ich bin hier nicht erwünscht
Ich sitze im Boot.
Das Ufer ist in Sicht.
Die Lichter glitzern.
Es gibt Nahrung, Kleidung.
Es gibt Platz für alle: es muss das Paradies sein!
Nur leider ist es das nicht.
Die Realität ist eine andere.
Es könnte das Paradies sein, ein Netz der Sicherheit.
Wenn man willkommen ist und einen einfachen Weg dorthin hätte. Wer es an das Ufer schafft wird geduldet ist aber noch lange nicht erwünscht.
Das ganze findet nicht nur auf dem Meer statt.
Nein. Auch direkt vor unserer Haustür.
Ich bin geduldet. Ich bin hier nicht gewünscht.“
Dieses Gedicht von Rebecca Gottschick steht auf einem laminierten DIN A4-Aushang unter ihrem Mixed Media-Werk.
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Eine Kunstausstellung im öffentlichen Raum, von der ich nichts wusste. Ich meine, ich hätte rudimentär etwas davon gelesen, es aber nicht weiter für mich abgespeichert. Durch Zufall von einem netten Menschen in einem Kunsthaus, dass zeitgleich zu der Ausstellung dort auch jene im öffentlichen Raum noch da ist.
Das Wetter ist gut, also gehe ich und laufe wie eine Touristin mit dem Faltplan in der Hand die dort eingezeichneten Stationen ab. Nicht alle finde ich. Von denen, die ich finde sind mir einige zu voll und andere interessieren mich nicht. Ich gehe in Gewölbe und stehe vor Fenstern, betrete eine Kirche und sehe einem Wandbild bei der Entstehung zu, betrete Hinterhöfe und Gärten und spreche mit Menschen, von denen ich nicht alle verstehe.
Ich sehe bunte, auf den ersten Blick fröhliche oder harmlose Kunstwerke, aber auch Flüchtlingsboote und eine Skulptur, die aktueller denn je erscheint, denn sie befasst sich mit der Bücherverbrennung durch die Nazis, und dass das nicht das Ende war. Damit auch mit dem, was durch die Book Bans in den USA passiert und was hier passieren wird, wenn die AfD an die Macht kommt.
In der Ausstellung im Kunsthaus erzählt mir der nette Mensch viel über das Haus und die Familie Tengelmann, wie der Name der Süßwarenfirma Wissoll zustande kam und natürlich über die ausstellenden Kunstschaffenden, zu denen er auch selbst gehört. Er arbeitet mit Grafik und Oxidation oder installiert zu politischen Themen wie Konsumkritik. Sein Werk, um auf die prekäre Lage wohnungsloser Menschen aufmerksam zu machen erinnert ein bisschen an Banksy.
Einer der Künstler macht in visueller Poesie und ich fühle mich ein bisschen verbunden, denn das habe ich früher auch gemacht. Er hat drei kleine quadratische Leinwände mit Gedichten im Fingeralphabet, aber ich weiß nicht, ob es wegen der Optik gewählt wurde oder ob er gebärdensprachlich kommunizieren kann. Auch weiß ich nicht wie viele Menschen außer mir diese Leinwände gesehen haben und die Texte lesen können, ohne den ausliegenden Ausdruck des Fingeralphabets oder die Transkription der Texte in Schrift zur Hilfe zu nehmen.
Jemand anders macht Skulpturen und Gemälde und schnell ist das mein Lieblingsraum wegen der Astronauten. Ich mag diese Raumfahrtmenschen so sehr, dass ich die Motive als Postkarten kaufe. Zu einem Kalender bekomme ich ein unterschriebenes und nummeriertes Original eines anderen Bildes dazu.
Was mich freut ist, ich werde als ebenfalls Kreative erkannt und es gibt durchaus Interesse an dem, was ich tue. Ich kann momentan nichts vorweisen, erwähne aber lose, dass es im Dezember in einer Gruppensache etwas von mir geben wird. Mir wird geraten, eine gute Pressemitteilung dafür herauszugeben – denn was die Zeitungen heute machen, sei fast immer einfach Copy & Paste – und beizeiten per Mail den URL zu übermitteln.
Einem Menschen fällt etwas auf. Das ist nichts besonderes. Auch nicht, dass es sich dabei um einen Menschen handelt, der für mich Texte in Einfacher Sprache gegenliest, um zu entscheiden, ob es sich wirklich um Einfache Sprache handelt. (Einfache Sprache ist etwas anderes als Leichte Sprache. Für Leichte Sprache gibt es DIN Normen und Regeln.) Es ist gut, wenn diesem Menschen Dinge auffallen. Das ist seine Aufgabe.
Diesem Menschen fällt auf, dass es eine Figur in diesem Text gibt, die US-Soldat im Kalten Krieg ist und Soldat geworden ist, obwohl sie keine lauten Geräusche mag.
Was der Mensch deswegen überlegt ist nicht, ob jener Soldat, ein junger, zurückhaltender Mann aus einer Großfamilie, sich aus ökonomischen Gründen zur Armee begeben hat – wie die Figur es selbst begründet: ältester Sohn einer Großfamilie, die von irgendwas leben muss -, nein, der Mensch fragt: Könnte diese Figur neurodivergent sein? Viele neurodivergente Menschen ertragen laute Umgebungen nicht gut.
Ich habe diese Figur nicht so konzipiert, aber mir gefällt, dass man sie offenbar so lesen kann. Ursprünglich ist ihre Abneigung gegen laute Geräusche nur deshalb entstanden, weil sie irgendeine für ihre Rolle untypische Eigenschaft brauchte und das, das erste war, das mir einfiel.
Während ich über all das, was dem gegenlesenden Mensch aufgefallen ist nachdenke fällt mir ein, dass es noch einen Zufall gibt. Der hat nur indirekt mit der Geschichte zu tun: Das Kulturzentrum in der Heidelberger Altstadt, in dem ich früher viel Zeit verbracht habe, ist mittlerweile auf das Gelände des ehemaligen US-Army Stützpunktes umgezogen. Das war mir ganz sicher nicht bewusst, als ich einen jungen Soldaten für eine Geschichte, die Anfang der 1980er Jahre spielt erfunden habe. Zumal ich eigentlich gar nicht erfinden kann, als fantasieloser Mensch, der ich bin. Geschichten finden sich selber. Früher taten sie das gut, nach dem Onlineharrassment, das mir 2019 meine Blogs und damit auch das virtuelle Skizzenbuch zerstörte, tun sie es nur noch sehr zäh.
An einem anderen Tag und an einem anderen Ort habe ich als Geschenk für eine Person einen Buchkalender in einer Buchhandlung besorgt. Das spezielle an diesem Kalender ist, dass er von einem örtlichen Künstler*innenzusammenschluss gestaltet wurde und die Erlöse an eine Initiative zur Leseförderung bei Grundschulkindern gespendet werden. Mit dem Geld sollen Bücher beschafft werden. Zu Anfang des Kalenders stehen Grußworte von Menschen aus der Politik, die davon berichten, wie wichtig es ist, dass Erwachsene – insbesondere Eltern – Kindern vorlesen.
Mir ist als Kind nie vorgelesen worden. Stattdessen wurden mir Bücher in due Hand gedrückt, als ich noch gar nicht lesen wollte. Ich erinnere mich, mich als Erstklässlerin einmal bei meiner Mutter darüber beschwert zu haben. Mit den Büchern sollte ich mich dann selber beschäftigen. Ich fand das langweilig. Vielleicht mangelt es mir deshalb an Fantasie.
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