Montag, 18. November 2024

In der Geburtsstadt meiner Mutter hat mal ein Mann namens Louis Schild gewohnt. Da, wo die Pforte des alten Hochtiefhauses ist, fast gegenüber vom Aalto-Theater, in der Nähe von Philharmonie und Herrhausen-Haus.

Das sind Orte, die Louis Schild nicht gekannt hat.

Louis Schild kannte: Beim Stadtgarten, in der Nähe vom Hauptbahnhof, möglicherweise auch nahe beim Handelshof und vielleicht auch mit gutem Gang fußläufig zur Synagoge.

Falls Louis Schild religiös war.

Louis Schild wurde 1880 geboren und 1935 im KZ Esterwegen ermordet. Heute ist sein Todestag.

Ich habe von ihm und seiner Geschichte erstmals 2022 in der Ausstellung „Come Out, Essen!“ im Essener Stadtarchiv erfahren, wo ihm auf einer Tafel ein Absatz gewidmet war. Neben dem Text gab es Polizeifotos mit seinem Gesicht.

Louis Schild wurde am 26.08.1935 verhaftet, nachdem ihn ein Nachbar denunziert hatte. Ihm wurde im NS-Vokabular „widernatürliche Unzucht“ unterstellt und obwohl man Louis Schild nichts nachweisen konnte sperrte die Gestapo ihn wochenlang ins Gefängnis, bevor er schon sehr krank ins KZ kam und dort bis zu seiner Ermordung durch den SS-Mann Gustav Sorge erniedrigt und gequält wurde.

Ursprünglich stammte Louis Schild aus Dortmund, weshalb der Arbeitskreis schwul-lesbische Geschichte aus Dortmund ihm vor zehn Jahren ein Videoportrait gewidmet hat:

www.nrwision.de

Ich weiß noch, dass ich damals nach der Ausstellung im Stadtarchiv vom Archiv zu seiner letzten freiwillig gewählten Adresse in der Steinstraße lief und mir gedacht habe, was für ein kleiner Radius das ist. Kommt man vom Archiv, muss man am Hauptbahnhof vorbei und direkt am Hauptbahnhof ist der Handelshof und dort betrieb der ebenfalls schwule und später im KZ ermordete Alfred Quaas einen Treffpunkt für homosexuelle Männer. Biegt man am Hauptbahnhof in die Rellinghauser Straße ein, um zum Hochtiefhaus zu kommen, kommt man an der Adresse einer früheren Schwulenbar vorbei und dort, wo man schließlich die Straße überqueren muss ist der westenergie-Turm. Vor dem wehten damals Regenbogenflaggen, denn es war Pride Month, und geht man nicht über die Straße, sondern biegt in die Gutenbergstraße ein kommt man zu einem Supermarkt, an dessen Tür in den Nullerjahren eine Regenbogenflagge klebte. Außer Alfred Quaas’ Treff im Handelshof hat Louis Schild definitiv nichts davon gekannt. Ob er den Treff gekannt haben könnte ist Spekulation. Man weiß, dass er oft in einem Automatenrestaurant gegessen hat und dort Männer kennenlernte. Wo sich dieses Restraurant befand, weiß ich nicht.

Aber ich dachte damals wie dieser kleiner Radius, es sind vielleicht zwei Kilometer, wenn überhaupt, doch schon immer ein queerer Ort war.

Manchmal, wenn ich heute in der Stadt bin, gehe ich nach wie vor zu der Stelle mit dem Gedenkstein für Louis Schild und dann frage ich mich, wie dieser 100 Jahre vor mir geborene Mann die Flaggen, die da immer wieder in der Nähe seiner ehemaligen Wohnung hängen finden würde.

Vielleicht fände er sie gut.

Möge ihm die Erde leicht sein.





Freitag, 15. November 2024

Mein Geburtsmonat ist ein Monat mit verkehrt gesteckten Zielen. Zuerst zu hoch, dann dreimal korrigiert und zweieinhalb Mal geändert. Im Fediverse kursiert eine NaNoWriMo-Alternative namens WritingMonth und ich wollte dafür etwas probieren, aber Gesundheit und Weltlage kommen dazwischen. Also weiche ich aus und versuche einfach jeden Tag an einem schon laufenden Projekt zu arbeiten, indem ich dafür Dinge schreibe, die entweder definitiv nicht oder nicht so Eingang in den finalen Text finden. Hauptsache ich tue etwas gegen das Kreisdenken und Hochgeschaukeltwerden, denn die eine oder andere Person in meinem Umfeld scheint die Welt gerade nur aushalten zu können, indem sie jeden Tag ein schlimmeres Szenario an die sprichwörtliche Wand malt und jedes Mal noch grafischer. Da schreibe ich lieber Dinge, die letztlich keinen Zweck im Text haben und habe im Kopf einen Ort, an dem ich mich wohlgefühlt habe, denn da spielt es, Musik wie sie sich auch auf Schallplatten in meiner Sammlung findet und Figuren, von denen ich behaupten kann, dass ich sie mag. Gern hätte ich die Deadline für die Adventsaktion der Mosaikzeitschrift geschafft, aber dazu war ich zu gestresst und zu krank.

Ich arbeite mit Notizbüchern, Blöcken und Füllern. Mich erdet das. Es ist grotesk, dass ich die Kaweco-Tinte am günstigsten in einem Laden in einem teuren Viertel finde. Aber leider noch immer nicht in orange. Die Tinte ist gut, aber die Farben wirken geschrieben oft anders, ich hätte gern gesehen, wie es bei der Farbe orange ist. Ruby Red zum Beispiel mochte ich auf der Packung nicht, gefällt mir jedoch verschrieben, Caramel Brown mochte ich auf der Packung, aber verschrieben nicht.

Ich finde einen Text, den ich 2021 für den Volkshochschulkurs, mit dem ich wieder schreiben lernen wollte verfasst habe. Nach dem Onlineharrassment 2019 konnte ich das erstmal gar nicht und deshalb hatten Freunde mir einen Kurs geschenkt. Es war ein Versuch, der auch am Dozent, der keine Ahnung von der Materie, die er unterrichten wollte, hatte, scheiterte. Die Geschichte beschreibt die Situation behinderter Menschen damals, als wir wussten, dass man uns einfach im Stich lässt (nach den Triage- und Utilitarismus-Diskussionen -, aber auch jetzt, in dieser Lage wirkt er seltsam aktuell, bis vorausschauend. Nur dass einige Vokabeln nicht mehr stimmen und vielleicht befremdlich wirken.





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