Ich hätte heute ein Museumsticket übernehmen können - die Person, die es eigentlich für sich gekauft hat ist erkrankt -, aber zum Einen finde ich meinen Berechtigungsnachweis für die Ermäßigung nicht und habe zum anderen ein so wackeliges Gleichgewicht, dass eine Fahrt in eine andere Stadt zu riskant ist. Nicht die eine große Stadt, eine andere, in der ich mich nicht mal genug auskenne. Deshalb geht jemand anderes. Was auch deshalb schön ist, denn der Kreis derer, die dieses Ticket übernehmen konnten ist nicht eben groß. Es ist eines, das mit der Ermäßigung gekauft wurde und wer immer es hat muss einen Nachweis über die Berechtigung zur Ermäßigung vorlegen.
Das ist nicht ganz so leicht, wie die erkrankte Person sich das vorstellt. Denn sie ging davon aus, dass ich das Ticket einfach so an eine Freundin weiterreichen könnte, die müsse mit ihrem Schwerbehindertenausweis doch qualifiziert sein. Ist sie nicht. In vielen Museen, so auch diesem, herrscht die komplett veralterte Regel "ab GdB 70 und Merkzeichen B". Das B hat kaum noch jemand, die*der nicht schwerstbehindert ist.
Eine Ausschreibung für ein Adventsprojekt und ich frage mich, ob ich versuchen soll innerhalb von drei Wochen etwas brauchbares hinzubekommen. Eigentlich hat dieses Magazin auch seit über einem Jahr was von mir bei sich liegen und sich nie deshalb gemeldet. Dieses Adventsprojekt ist davon unabhängig und deshalb ist es egal.
So langsam füllt sich meine Mailbox mit Nachrichten alter Weggefährt*innen, sie hätten einen Blick hierhin geworfen und freuen sich, dass es nach fast fünf Jahren wieder irgendwie weiter geht.
Es sind immer die Schuhe, wo die Leute zuerst hinschauen. Als definierten die, wie man mich einzuordnen hat. Weil die Schuhe bestimmen, ob „so eine“ diese oder jene Klamotte tragen darf. Ob eine so aus der Rolle, die Nichtbehinderten einer behinderten Frau zugestehen fallen darf. Und eigentlich darf man keine normale Kleidung tragen ohne angestarrt zu werden. Man hat dieses Bild von unmodern und fremdbestimmt, Kleiderkammer und unförmig zu erfüllen. Wenn man das nicht tut, müssen die Haare oder die Schuhe herhalten.
Die nutzt einen Gehstock und trägt solche Schuhe? Wie kann sie denn nur? Das darf die doch nicht.
(Selbst meine Mutter, diese Frau, die nicht meine Mutter sein möchte, denkt so.)
Ach nein, sieh da, sie trägt Workerboots, so was ähnliches wie Doc Martens. Stabil und fest. Aber dazu, zu dieser Kleidung? Unmöglich. Na ja, diese Behinderten...
All so was kann ich fast jedes Mal in den Köpfen sehen. Und ich weiß nie, ob es mich nervt oder langweilt. Nach so vielen Jahren sollte es das. Vielleicht. Auch wenn allein schon die Art zu gucken eine Mikroaggression ist.
Wenn behinderte Menschen, dann doch bitte die braven aus den Heimen oder die „Superstars“ wie Herr Krauthausen, aber doch nicht eine in normaler Kleidung und Schuhen an unserer Haltestelle.
Man könnte das in ein Theaterstück über Alltäglichkeiten mitaufnehmen.
Seit einer Weile denke ich bei so was immer an Mrs. McLachlan. Mrs. McLachlan ist ein Charakter aus einem Bilderbuch von Harry Woodgate. Und sie ist – genau wie ich – Bibliothekarin und nutzt – genau wie ich – einen Gehstock. Und sie bricht – genau wie ich – mit den Erwartungen der Nichtbehinderten. Wenn auch anders als ich. Denn im Gegensatz zu mir begeht Mrs. McLachlan das Verbrechen gegen die nichtbehinderte Ästhetik Röcke zu tragen. Lange und bunte und – noch schlimmer – einen, der etwa am Knie endet und damit die Leute nötigt dieser gehbehinderten Frau auf die Beine zu sehen. Die sehen nicht anders aus als andere Beine, aber man darf es eben anscheinend nicht. Zu diesen Röcken trägt sie natürlich Schuhe und wäre sie ein Charakter in einem Buch aus Deutschland, dann müsste realistischerweise irgendein anderer Charakter um die Ecke kommen und sie darüber belehren, dass sie keine roten Sneaker zu grünen oder bunten Röcken tragen kann. Dass sie das für ihren Beruf disqualifiziert und anderes mehr, das man vermeintlich am Aussehen festmachen kann. Das Tolle an diesem Charakter ist, es ist ihr völlig egal, sie denkt gar nicht drüber nach. Und eins von mehreren tollen Sachen an dem Buch ist, dass sie das gar nicht muss, weil es gar nicht zur Debatte steht.
Schade, dass die wenigsten Menschen Mrs. McLachlan kennen.
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